Bierolog: Öö von Põhjala

29.08.2019

Tief schwarz und ölig steht da im Glas, was ohne die sahnige Schaumkrone und ohne weitere Erklärung nicht zwingend als Bier identifiziert werden muss. Wenn die estnischen Kreativbier-Vorreiter von Põhjala sich international durch eines ausweisen, dann sind es diese satten, undurchschaubaren Vertreter der Brauwelt…

fact sheet

Öö von Põhjala
Steht hübsch im Glas – das Öö von Põhjala

Bierstil: Imperial Baltic Porter

IBUs (Bittereinheiten): 60
Alkoholgehalt: 10,5%vol
Gärung: untergärig
Zutaten: Wasser, Gerstenmalz (Munich , Chocolate Malt, Carafa II Special, Special B, Crystal 300, Pale Ale), Hopfen (Magnum, Northern Brewer), Hefe, Zucker


Wo die Nacht am tiefsten…

Tatsächlich gehört Pöhjalas Öö mit seinen beachtlichen 10,5 %vol. als stärkster Vertreter zur core range der Brauerei aus der estnischen Hauptstadt Tallinn- den Bieren also, die anders als die specials oder seasonals immer im Programm sind und dauerhaft erhältlich sein sollen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass dieses Bier der Trinkerin wie dem Trinker einiges abverlangt und also sicher nicht zu everybody’s darlings zählt.

Tiefschwarz wie die baltische Nacht (Öö = estnisch: Nacht) steht es im Glas. Allenfalls am äußersten Rand ist eine Idee von braun zu erahnen. Fast an Espresso erinnernder, cremiger Schaum, der auf den Einsatz von Röstmalzen schließen lässt, was bei diesem Stil ungefähr so überraschend ist, wie der Facebook-Auftritt der AfD (wenngleich es sich dort mit der Farbbeschreibung genau andersherum verhält…).

Nach den dunklen Wolken im Glas, verheißt auch die erste Duftmarke, dass uns keine leichte Zeit bevorsteht. Ich sitze erst einmal einige Minuten und lasse dieses Pfund in der Nase wirken. Zunächst sind Süße und Alkohol sehr präsent, wenngleich man erstere nicht riechen kann, sondern assoziiert. Also muss es die dunkle, sirupige Melasse eines Muskovado-Zuckers sein, an die ich denke. Auch dessen lakritziger Charakter findet sich darin. Ansonsten erinnert mich einiges an einen gefährlich gebauten Carajillo. Wenn ich den Rüssel nicht ganz ins Glas hänge, bekomme ich ein paar sehr dunkle Beeren (Josta-, Schwarze Johannisbeere).
“This is the end beautiful friend.”
The Doors
Und dann das erste Nippen am Glas – und alle Lichter gehen an! Eine Viskosität wie Öl wehrt sich förmlich dagegen, bewegt zu werden und lässt wenig Platz für Kohlensäure. Die erwartete Süße ist sofort da, sitzt aber wie leicht übergewichtig auf einer Wippe mit einer eleganten Säure, die wieder an Espresso erinnert. Belagert werden beide von einer Bittere, die laut „HALLO!“ sagt, wie ein samstäglicher Fußballfan der sehr freundlichen Sorte am Bahngleis Richtung Stadion; danach aber ins unüberschaubare Meer der anderen Geschmackseindrücke eintaucht. Auch geschmacklich bin ich hier durchaus ziemlich nah an einer starken Kaffeespezialität mit einem ordentlichen Schuss Brandy. Ein Kaminbier. Wärmt und hält einen beschäftigt. Hier könnte man sich auch mit 50ml eine Viertelstunde aufhalten. Das Bier hallt lange nach. Verrückt, wer es bei sommerlichen 30°C Außentemperatur trinkt…

Was mir gefällt

Ein Bier, wie man es leider in deutschen Supermärkten nach wie vor vergeblich sucht. Allenfalls das Noctus 100 von Riegele stößt in diese Richtung. Tatsächlich aber ist da eher das Grundproblem, dass man sich auf ein festes Sortiment festlegt, das über das ganze Jahr funktionieren muss. Für den/die geübte Biergenießer*in wird es da schnell fad. Stünden in jenem Regal aber ein oder zwei Biere diesen Formats mit Ecken und Kanten, wäre die Pein gewiss ein kleines Stückerl kleiner.

Wem’s gefällt

Wer mit dieser Buddel zur Kasse geht, sollte zumindest schon einmal sichergestellt haben, dass die Röstaromatik eines Köstritzer Schwarzbiers einen nicht aus der Fassung bringt. Denn hier spielt sich deutlich mehr ab (wie allein auf Grund des doppelt so hohen Alkoholgehaltes ja eigentlich nicht erklärungsbedürftig). Auch im Vergleich zum dagegen fast harmlosen, aber eben auch nicht imperialen Gotland 1394 von Buddelship! Die Rückmeldung des Bierbar-Inhabers, dem ich es besorgt habe, ist aber auch: einige, die es unbedarft bestellt und nun einmal vor sich und den ersten Schock verdaut hatten, kamen nachher zu der Erkenntnis, dass man vielleicht unter normalen Umständen keine ganze Flasche davon trinken müsse; im Glas aber doch einiges zu finden sei, was man so noch nicht kannte.
Aber von einige zu viele ist es in dem Fall nicht eben ein Katzensprung…

Nerdy Fun Fact

Während der Ursprungsstil Porter – vielleicht das beliebteste Bier des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in UK – von obergäriger Hefe zu dem gemacht wurde, wozu behosenträgerte Schnauzbartbesitzer mit der Zunge schnalzen, machen in diesem Schwergewicht untergärige Hefen den Job. Eine Reminiszenz an die Transportbedingungen auf der Baltischen See in Richtung Russischem Reich.

https://pohjalabeer.com/

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