18.10.2021
Retorten-Dinosaurierbiere sind Sebastian Sauers ganz besondere Steckenpferde. Diese Rekreation eines wahren anhaltinischen Exportchampions lässt uns tatsächlich mit der Zunge schnalzen.
fact sheet
Bierstil: Zerbster Bitterbier
IBUs (Bittereinheiten): n.a.
Alkoholgehalt: 6%vol
Gärung: obergärig
Zutaten: Wasser, Gerstenmalz, Hopfen, Hefe



Smokers gonna Smoke
Auch wenn Wikipedia mir sagt, dass Zerbst die flächenmäßig fünftgrößte Gemeinde Deutschlands ist, und der Artikel zeigt, dass hier in der Historie doch so einiges ging, findet sich an keiner Stelle des Artikels das Wort Bier. Das ist einigermaßen erstaunlich, waren in der damaligen Residenzstadt im 15. Jahrhundert doch offenbar über 500 Brauereien registriert. Damit dürfte das Zerbster Bitterbier der größte Exportschlager aller Zeiten der heutigen Kleinstadt in Sachsen-Anhalt sein. Sein weitreichender und opulenter Ruf im Spätmittelalter konnte seinen späteren Niedergang mit der Industrialisierung (auch hier dürfte wie so oft das Pils seine Schlieren im Spiel gehabt haben) jedoch nicht verhindern.
Umso mehr darf man sich freuen, wenn Brauer*innen sich heute an die Rekreation solcher vergessener Stile herantrauen. Natürlich ist das nicht immer ganz einfach, ist man dabei doch auf die Dokumentation des Stils aus historischen Quellen über eine recht weite Zeitspanne angewiesen. Oft bleiben dann ganz bestimmte Charakteristika übrig, an denen man sich orientiert.In diesem Fall ist das Malz, das über Erlenholz geräuchert wurde. Das haben die Brauer hier sogar selbst erledigt, weil es gut erhältlich eigentlich nur Buchen- und Eichenrauchmalz gibt.
“There may be a great fire in our soul, yet no one ever comes to warm himself at it, and the passers-by see only a wisp of smoke.”
Vincent van Gogh
Die Brauer sind der für die Rekreation historischer und ausgestorbener Stile bekannte Sebastian Sauer aka. Freigeist Bierkultur und Christian Hölzing aka Daubringer Hällche. Gebraut wurde bei BrauArt in Sausenheim bei Mannheim.
Was mir gefällt
Rauch ist eine spezielle Zutat in Bieren, die erfahrungsgemäß die Geister scheidet. Das selbst über Erlenholz geräucherte Malz kommt aber sehr subtil herüber und ist – anders als etwa in einem Schlenkerla Märzen – nicht der alles bestimmende Protagonist, sondern eher eine Art Gewürz in einer komplexen Sensation. Sie bringen kein Schwarzwälder Schinken- oder gar Aschenbecherflair sondern eine eher nussige und leicht-rauchige Note ein. Tatsächlich viel mir die Textur des Bieres als erstes auf: es ist so viskos, dass ich mir sicher war, es müsse Weizenmalz verwendet worden sein (dem ist aber nicht so). Die schon präsente Bittere ist schön balanciert durch eine angenehme Restsüße, die dem Bier einen Körper verleiht, der den 6%vol Alkohol angemessen ist. Alles befindet sich in einer schönen Balance – auch wenn der Bittereindruck (wer hätte das bei diesem Bier gedacht…) schon recht nachhaltig ist.
Wem’s gefällt
Man muss kein bekennender Jünger der Kirche der letzten Tage sein, der wie ich Islay-Whiskeys mit ihren bis ins letzte ausgereizten phenolischen Torfrauchschwaden oder Bamberger Rauchbiere, die andere als flüssigen Schwarzwälder Schinken wahrnehmen, vergöttert, um an diesem Bier Gefallen zu finden. Hier befindet sich alles in einer schönen Harmonie. Man könnte fast meinen man befände sich in Franken, so schön ist das Bier auf Trinkbarkeit getrimmt. Wer allerdings auf Bittere empfindlich reagiert, wird hier den entscheidenden Unterschied ausmachen. Den anderen tut das aber nicht weh…
https://www.daubringer-haellche.de/
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