09.05.2020
Wenn wir alle uns wohl mit der bitteren Realität abfinden werden müssen, dass wir dieses Jahr nicht in den Süden fahren dürfen, warum nicht einfach den Süden ins Heimexil holen – mit einem Bier, dass nicht halb so bitter ist…
fact sheet
SHADES OF ORANGE
Bierstil: „Valencia Orange Ale“
IBUs (Bittereinheiten): keine Angabe
Alkoholgehalt: 6,5% vol
Gärung: obergärig
Zutaten: Wasser, Orangen, Gerstenmalz, Hopfen, Hefe

Ein Orca auf Reisen
Felix vom Endt hat Anfang 2017 den Schritt gewagt und den Traum vieler Hobbybrauer wahr gemacht – den Traum von der eigenen Brauerei. Nach inspirierenden Aufenthalten in Kanada (wo übrigens der Name geboren wurde) und dem folgenden Entschluss, sich in die Welt der Bierproduktion auf kleinem, aber professionellen Level hineinzufuchsen, war er zunächst die rechte Hand von Johannes Heidenpeters in der Markthalle 9 in Berlin, ehe er mit Family den großen Schritt wagte, ausgerechnet mitten in Franken – dem Landstrich mit der größten Brauereidichte weltweit – eine Brauerei zu eröffnen.
Ein ORca im Orangenhain
Dieser Schritt brachte es für Felix bei Orca fast zwangsläufig mit sich, seine kreativen und experimentellen Ansätze aus dem Hobby in die Brauerei zu bringen. Denn es hat wohl niemand darauf gewartet, dass nun endlich jemand auf die Idee kommt, gut gemachte klassische Bierstile nach Franken zu bringen. Da ist der Export von Eulen nach Athen sicher ein aussichtsreicheres Geschäftsfeld. So entstehen im Laufe der Zeit einige Biere, die in Deutschland offiziell gar nicht so genannt werden dürfen: ein Tomatenbier in Zusammenarbeit mit Sebastian Sauer von Freigeist Bierkultur, ein Sud mit Johannisbeere, Estragon und Senfsaat und vieles mehr, das in der Lage ist, die bierreaktionären Gemüter in Wallung zu versetzen. Viel Inspiration kommt dabei auch aus Belgien, das bei Reinheitsgebotsaposteln ja auch so seine Hypotheken hat.
„I’d rather laugh with the sinners than cry with the saints, the sinners are much more fun.“
Billy Joel
Für das hier vorgestellte Bier hat Felix Orangen von „Jardin del Gordo“ aus der Region Valencia kommen lassen. [Dahinter steht ein unterstützenswertes Crowd-Farming-Projekt, bei dem man Pate eines Baumes werden kann und so das Auskommen der Landwirte unabhängig vom Markt sichert.] Auf der Basis eines Bieres aus höchstregionaler fränkischer Landgerste verwendete er dann die aromaintensiven Zesten (was für eine Arbeit…), und lagerte das fertige Bier nach der Hauptgärung auf dem, von der bitteren weißen Schale weitgehend befreiten, saftigen Rest.
Ein Orca im Glas
Ich schenke ein recht trübes, je nach Lichteinfall von blassem zum vollen Orange reichendes Farbspektrum ins Glas. Der Schaum ist feinporig, hält sich aber kaum im Glas.

Eine spannende, herbe Fruchtigkeit, die sich zwischen einer herb-bitteren Orangenlimonade und klassischer Bitterorangenmarmelade nicht entscheiden will, steigt mir in die Nase. Bei längerer Beschäftigung findet sich aber auch eine feine, gut angepasste Hefearomatik, die schön wahrnehmbar ist, ohne aufdringlich zu sein, und dabei das Bier im Glas verrät.
Der erste Schluck spült mir eine sehr spritzige Schorle aus einem sehr herben Orangensaft auf die Zunge. Das sensorische Erlebnis ist aber weniger aggressiv, denn es wird von einer feinen, angenehm moussierenden Perlage getragen, die fast an einen Champagner erinnert und sich fein auf der Zunge verteilt.
Erst dann kommt die Komplexität dieses Gebräus voll zum Tragen. Das Bier macht da merklich einen Unterschied, und setzt einen wichtigen Grenzstein zu der nicht ungefährlichen Nähe zur oben genannten Orangensaftschorle. Die Bittereindrücke des Hopfens und der im Brauprozess eingesetzten Orangenzeste ergänzen sich auf ungewohnte aber interessante Weise und führen zusammen mit der Säure der Orangen zu einem sonnenintensiven Abgang.
Dabei bleibt Shades of Orange immer fruchtig, spritzig und – trotz des erhöhten Alkoholgehaltes – schlank, weil die Hefen den Fruchtzucker der vollreifen Orangen in Gänze umsetzen. Ähnlich wie bei vielen belgischen Bieren, ist das Ergebnis zusätzlich hinzugefügten Zuckers dadurch – anders als erwartet –eben nicht besonders süß, sondern clean und schlank.
Was Mir gefällt
Das Shades of Orange ist eine Melange aus verschiedenen Geschmackswelten, die sich hier erstaunlich gut finden. Das Bier fungiert hier als komplexitätsanreichernde Schaubühne für die Aromen aus vollreifen und charakterstarken Orangen, ohne die selbige aber eben einfach nur eine Schorle wären. Mögen sich die orthodoxen Geister hier streiten, ob es sich dabei überhaupt um ein Bier handelt. Für mich hat Felix vom Endt hier eine perfekte Sommererfrischung, bzw, wie er es ausdrückt: „Sommerextase“ geschaffen, die einen frischen Cocktail ohne Weiteres ersetzen kann. Keine weiteren Fragen. Obwohl, eine sei noch gestattet: wo sind diese 6,5% Alkohol versteckt!?
Wem’s gefällt
Diese Frage stellt sich fast gar nicht – außer man mag keine aromatischen Orangen oder findet, dass ins Bier nur Wasser, Malz und Hopfen nei g’hert. Da würde man sich aber auch am Ende wundern, wie so was ohne die im angeblich ach so wichtigen bayerischen Reinheitsgebot von 1516 gar nicht genannte Hefe schmeckt. Nämlich pappsüß und mal sowas von gar nicht erfrischend. Das kann man hier nicht behaupten. Schwerer könnten da die perfekt versteckten 6,5 Volumenprozent Alkohol ins Gewicht fallen. Denn – auch wenn es uns nach einer zweiten Flasche dürstet – danach müssten an einem Hochsommernachmittag wohl einige unweigerlich nach Hause, während die anderen weiter an ihrem 08-15-Radler nuckeln; dafür aber auch noch zurechnungsfähig sind.
Die bessere Trinkerfahrung hätten wir aber allemal gemacht!
Falls ihr Lust habt, das Bier zu kosten und mit dem Brauer selbst über eure Eindrücke zu sprechen: Felix vom Endt ist am 16. Mai 2020 (neben Nico vom Atelier der Braukünste) zu Gast bei uns: Betreutes Trinken II – das digitale Biertasting!
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