[Styler] Bier-Wein-Hybride mit Georg I. von der Brauerei Flügge

06.12.2019

Sie sind einer der Bierstile der Stunde, kommen aber aus dem Schatten des anhaltenden Hypes um das New England IPA (NEIPA) oder andere double dry hopped IPAs bisher nicht so richtig ins Licht der großen Scheinwerfer: Bier-Wein-Hybride.

fact sheet

GEORG I.
Bierstil:
 Imperial Wine Stout
IBUs (Bittereinheiten): nicht angegeben
Alkoholgehalt: 12,1% vol
Gärung: obergärig
Zutaten: Wasser, Rotwein, Gerstenmalz (Pale Ale, Münchner, Black Malt, Chocolate Malt, Special X), Kandissirup, Buchweizenflocken, Hopfen (Columbus) , Hefe


Bier-Wein-Hybride sind der heiße Scheiß der Stunde. Einschlägige Craft Beer-Seiten wie Hopfenhelden, Feiner Hopfen und der HHopcast berichteten darüber. Aber sogar im Mainstream hört man es rauschen, wenn der Spiegel und sogar der reinheitsgebotsenthusiastenlandverwurzelte Bayrische Rundfunk wohlwollend berichten.

Neuer Wein in Alten Bäuchen

Das kommt bei selbst in der Szene der eingeschworenen Bierexperimentierer als speziell wahrgenommenen Stilen äußerst selten vor. In der Tat mutet es erstmal etwas seltsam an, waren die beiden Welten bisher säuberlich getrennt: hier das durstlöschende, unkomplizierte Bier von Nebenan; dort der anspruchsvolle und facettenreiche Wein, Ausdruck von Haltung und Anspruch. Ein Unterschied wie U- und E-Musik. Dass diese Trennung auch bei den Getränken ein Konstrukt, ein Hirngespinnst ist, eine Projektionsfläche kleinbürgerlicher Bedeutungsfantasien, dies zu entlarven ist gewissermaßen der Schlüssel zur Zündung der nächsten Stufe der momentan etwas stagnierenden Erfolgsgeschichte kreativer Biermacherei. Denn, um die im Vergleich zum Gewohnten hochpreisigen Kreationen nachhaltig als Genussmittel zu etablieren, das diesen Preis rechtfertigt, müssen wohl oder übel auch jene abgeholt werden, denen die Wahrnehmung ihres Konsums als besonders und erlesen mindestens ebenso wichtig ist wie der Genuss selbst. Und hierzu wiederum führt kein Weg vorbei an der gehobenen Gastronomie, die sich bisher im besten Fall mit einem Duckstein (Carlsberg-Gruppe) vom Getränke-Mainstream abzuheben glaubt. Hier gibt es erst zögerliche Sprösslinge eines größeren Bewusstseins für ein riesiges schlummerndes Potenzial.

Und vielleicht sind es in dieser Situation genau diese Weltenwandler, die in der Lage sind, die Brücke über diese bisher unüberwindlich scheinende Schlucht zu schlagen. Preislich heben sich diese noch einmal von dem schon gehobenen Durchschnittspreis für ein gefragtes Kreativbier ab, was jedoch nach Aussage einiger Involvierter durchaus ein verkaufsförderndes Argument sein kann. Der Kreativität ist in der Kombination unterschiedlicher Weine mit unterschiedlichen Bierstilen keine Grenze gesetzt, dieser Beitrag widmet sich aber einem jahreszeitgemäßen Kaminteam, einem Hybridantrieb aus einem schweren Imperial Stout, dem dunkelsten aller Bierstile, und einer Rotweincuvée des Weingutes Daniel Mattern aus Rheinhessen (das ja obskurerweise nicht auf der hessischen, sondern auf der rheinland-pfälzischen Rheinseite liegt).

Halb getrunken, doppelt genossen

Um diesen Wolpertinger der Genussgetränkewelt unter die Lupe zu nehmen, habe ich mir die wie immer bei Flügge auffällig gestaltete Flasche mit der Marburger Weinsommelière Anita Hopes von Frau Friedrich geschwisterlich geteilt – kein Problem bei rund 12 Umdrehungen auf dem Alkoholkarussell.

Die 2017 von Dominik Pietsch und Joachim Amrhein gegründete Mikrobrauerei Flügge aus Frankfurt hat sich in Deutschland und darüber hinaus in kürzester Zeit einen Namen gemacht mit Bieren, die das Kräftemessen in der Verwendung immer größerer Hopfenmengen kalt lässt. Hier konzentriert man sich vielmehr auf das Kreieren rarer und einzigartiger Biere, die auch gerne sauer sein dürfen oder mit anfängeruntauglicher Brettanomyces oder anderen besonderen Mikroorganismen vergoren sind und „dabei gerne die Grenzen des Reinheitsgebots hinter sich“ lassen, wie sie selbst sagen. Auch das Weingut Daniel Mattern gehört zu den Jungspunden im Business. 2011 gegründet, konzentriert man sich hier vor allem auf Weißweinreben. In dieser Kollaboration steuert der Winzer jedoch eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Spätburgunder bei.

Georg I. bittet zum Tanz – vom A zum O

Nicht unerwartet egießt sich das Bier in einem eleganten schwarzen Kleid mit samtroten Nuancen ins Glas. Der leichtbraune Schaum ist von geringer Haltbarkeit und gibt damit den direkten Zugang zur Aromenvielfalt frei, die einen einladenden, wenn auch ungewohnten Duft verströmt. Der erste Geruchseindruck legt tatsächlich beide Komponenten offen: die fruchtigen, an rote Beeren oder auch aus Ihnen gemachte Marmelade erinnernden Noten, die von einer erwarteten Säure getragen werden, treffen auf die angenehm röstigen und karamelligen Aromen des Stouts. Könnte man hier damit rechnen, dass die robusten Aromen eines gestandenen Stouts mit hoher Stammwürze die fruchtigen Rotweinbeiträge komplett schluckt, waren wir doch überrascht, wie gut das nebeneinander funktioniert. Nein, eigentlich funktionieren die Komponenten nicht nur nebeneinander: tatsächlich ist es den Partnern dieser ungewohnten Kollaboration gelungen, ein Genussmittel zu entwickeln, das ebenso komplex wie harmonisch ist. Und das trotz der für sich schon anspruchsvollen Ausgangskomponenten.

Das Imperial Stout zählt zu den stärksten und, gut gemacht, komplexesten Stilen der modernen Bierwelt. Durch den intensiven Einsatz von Röst- und anderen dunklen Malzen sowie großer Mengen Hopfens stellt es hohe Anforderungen an den Genießer. Auf der Weinseite ist insbesondere die säure- und tanninreiche Cabernet-Traube in der Lage, dieser Komplexität etwas entgegenzusetzen, während die fruchtbetonten Merlot- und Spätburgunder-Reben klassische Sparringspartner für einen vollmundigen, aber gleichzeitig geradlinigen Wein. Deren Fruchtigkeit erinnert für gewöhnlich an reife rote Beeren, kann aber mit der Zeit auch ein leichten Anklang von Kräutern bekommen. 

 „Hallo, ich bin nicht so der Typ, der sich als nicht so der Typ beschreibt. Nur meine Gemütlichkeit macht manche Leute grün vor Neid.“ 
Dendemann

Beim ersten Schluck bestätigt sich der Eindruck, dass uns hier etwas sehr gut komponiertes erwartet – und doch kann man zunächst nicht anders als staunen. Insbesondere diejenigen, die einen solchen Hybriden noch nicht auf der Zunge hatten, werden eine kleine Akklimatisierungszeit brauchen, ehe alles ankommt was da passiert. Ein Potpourrie an Geschmackseindrücken, die wir so nicht allzu häufig auf unseren Zungen versammeln. Die röstigen, bitterschokoladigen und ganz leicht rauchigen Eindrücke, die wir dem Stout zurechnen, vermählen sich auf elegante Weise mit der fruchtigen Säure, die eine gewisse Frische in dieses Schwergewicht mit rund 12 Volumenprozent Alkohol bringt. Diese Kombination funktioniert für uns beide erstaunlich gut zusammen, da sie nicht nur aromatisch, sondern auch das Mundgefühl betreffend eine sensorische Vielfalt erzeugt, die für uns etwa in der Kombination von Joghurt und Schokolade so gar nicht funktioniert. Ohne wirklich süß zu sein, wartet Georg I. gleichzeitig mit einer gewissen Restsüße auf, um diese Säure einzufangen.

Die Aromenvielfalt hält sich lange auf der Zunge. Ein in Flaschen gefasster Kaminabend zweier Freunde, die sich gegenseitig die hohen Freuden der eigenen Genusssphären nahelegen und einander schnell überzeugt finden.

Wir waren uns einig, dass hier eine perfekte Cuvée aus zwei Getränken gelungen ist, die zunächst einmal sehr unterschiedlich anmuten, und es auch sind. Die vorherige Skepsis der Weinsommelière (mit hoher Affinität für gut gemachte Biere) löste sich Schluck für Schluck in Begeisterung für das gelungene Experiment auf. Besonders überrascht hat uns, wie nicht nur beide Komponenten ihre Stärken einbringen konnten, sondern wie es auch gelungen ist, das Endergebnis so zu komponieren, dass sich eine stimmige neue Kreation daraus ergibt, die mit dem Begriff Hybrid eigentlich nicht hinreichend beschrieben werden kann. Ein Imperial Wine Stout, das diese Vermählung in jedem Tropfen bindet.

Gespannt bin ich darauf, ob Flügge uns hier vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch mit einer fassgereiften Version überrascht, der für diese Cuvée typisch ist, und auch die Bierwelt entdeckt die Weiterentwicklung insbesondere der starken Kreationen im Fass immer mehr für sich.

Nerdy Fun Fact

Wenn schon alles andere dem Supermarktleiter Sorgenfalten ins Gesicht schreiben sollte, so sind zumindest 10 Jahre Haltbarkeit doch ein starkes Pro-Argument 😉

Das Georg I. Imperial Wine Stoutvon Flügge aus Frankfurt

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4 Kommentare zu „[Styler] Bier-Wein-Hybride mit Georg I. von der Brauerei Flügge

  1. Hallo Ben,

    hab gerade diese informative Doku aus 1996 gesehen: https://www.youtube.com/watch?v=-RJoq2iQpbo Es geht um den Anbau von Hopfen und ist gespickt mit feinen Zusatzinfos…

    Bezüglich des nächsten Tastings. Ist es iwie möglich oder angedacht sich auch bei dir anzumelden oder ist das zu kompliziert mit Frau Friedrich und so?!?

    Beste Grüße,

    Alex

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